Identitäts-Lyrik

Einsam und verlassen
Dennoch unter Tausenden
In Zelten
Im Schlamm
Bittere Kälte
Ohne Essen

Halt, was schreiben sie denn da?

Ein Gedicht über die Flüchtlinge auf Lesbos und die armen Menschen vor den Toren der EU, wieso?

Na hören sie mal, haben sie denn schon mal mit einem Flüchtling gesprochen?

Nein, aber die Dokumentationen im Fernsehen,…

Waren sie schon mal auf der Flucht?

N-nein , wieso?

Na, sie sollten so etwas nur schreiben, wenn sie es auch mal erlebt haben. Sonst schreiben sie etwas, das gar nichts mit ihrer Identität zu tun hat.

Aber ich versuche doch, mich da hinein zu fühlen,…

Das ist sehr freundlich, aber wie lange leben sie schon hier in diesem fetten, reichen Land?

Schon immer.

Sehen sie, sie können das also nicht nachempfinden, wie es ist, wenn man alles verliert, vom Tod bedroht wird, auf der Flucht ist und dann in Lager abgeschoben wird und in Zelten bei bitterer Kälte leben muss. Wenn man nicht weiß, wie die Zukunft wird. Fatalistisch von einem Tag zum anderen hungert.

Aber ich kann es mir vorstellen.

Das sollten sie den Menschen überlassen, die es erlebt haben. Schreiben sie doch über Corona, da sind sie doch nah dran.

Das stimmt, aber ich hatte es noch nicht und kenne auch keinen der das hatte.

Ach so, verstehe. Dann schreiben sie doch über ihren Alltag, sie können keine Konzerte besuchen, kein Schwimmbad, nicht verreisen, nicht shoppen gehen. Sie haben haben praktisch nichts.

Ok,
einsam mit Netflix und Klopapier
Sitze ich eine tiefe Kuhle in mein Sofa
Die Waage zählt freudig meine Kilo, jeden Morgen
116 117 verschiebt mich in die Warteschleife
Die Nachrichten addieren die Neuinfektionen
Masken
Lockdown
Das kenn wir schon.

Ja, ganz nett. Klingt authentisch. Also Finger weg von Themen, die nichts mit ihrer Identität zu tun haben.


Weitere Bilder gibt es auf der mhblog-Seite und wer mit mir in Kontakt treten möchte, kann das hier tun. Viel Spaß.